Klie erklimmt elf Treppenfluchten, klettert über eine hilfreich platzierte Strickleiter in den zwölften und letzten Stock, fischt einen altmodischen Schlüssel hinter einem Haufen Gerümpel hervor und dreht ihn in dem ebenso altmodischen Schloss der Dachtür.
Auf dem Dach angekommen streckt xier sich dem schmalen Himmelsstreifen entgegen, der hoch oben zwischen den Häuserfluchten leuchtet. Wenn xier sich konzentriert, glaubt xier fast, das frische Grün der Oberwelt in der Luft zu riechen. Dieser Platz erinnert xier immer wieder daran, wie alt und vielschichtig Celcovia Station ist - fast wie ein atmender Planet mit flüssigem Magmaherzen.
Am äußersten Rand des Dachs sitzend zieht xier Holopad und Stift aus einer Tasche xieses Overalls.
Cyl, beginnt xier und stockt. Ohne seinen Kater Mau, der es versteht, auch unformulierte Gedanken aus xiem herauszukitzeln, fließen die Worte nur träge wie Schmieröl aus dem Stift.
Cyl,
Entschuldige, dass ich dir nicht geben konnte, was du suchtest, ja, dass ich vor dir zurückgeschreckt bin. Inzwischen weiß ich, dass du mir nie wehtun würdest. Abgesehen davon würde ich nie verurteilen, wie andere Wesen sich ernähren und mit Energie versorgen.
Wieder hält xier inne, dreht den Stift zwischen den Fingern und späht in den Abgrund zwischen diesem Dach und dem nächsten hinab. Die Dunkelheit sagt xiem keine Antworten ein.
In den Wochen nach deinem Verschwinden habe ich gemerkt, dass du mir ein großes Geschenk gemacht hast: Gesellschaft. Ich hatte fast vergessen oder ehrlich gesagt verdrängt, dass auch ich ein soziales Wesen bin. Meistens bin ich zufrieden damit, allein zu sein, ich ziehe es sogar vor, aber ab und zu … da sehne auch ich mich nach Gesprächen mit intelligenten Lebewesen. Kaum zu glauben, oder?
Mau stillt diese Sehnsucht zum Teil, aber nicht komplett. Verrate ihm nicht, dass ich das gesagt habe. Er wäre eingeschnappt.
Grinsend schreibt Klie weiter.
Ich ertappe mich bei dem Wunsch, dich wiederzusehen, obwohl ich weiß, dass ich mir keine Hoffnungen auf deine Rückkehr machen sollte. Nach unserem sehr endgültigen Abschied ist die Wahrscheinlichkeit darauf sehr gering und ich versuche, Enttäuschungen zu vermeiden.
Hier ist ein kleines Geheimnis: Als ich jünger war, verwirrte es mich oft, wenn andere nicht so handelten, wie ich es mir vorstellte oder wünschte. Ich dachte, die ganze Welt würde sich wie selbstverständlich meinem Willen beugen. Ich weiß nicht, wann diese Blase geplatzt ist, aber sie ist geplatzt. Mit einem ohrenbetäubenden Knall.
An diesem Punkt muss Klie aufsehen und dem Nachhall der geschriebenen Worte lauschen. Wie kommt xier dazu, Cyl so etwas Privates zu erzählen? Etwas, das so viele von Klies Schwierigkeiten mit anderen Leuten erklärt? Andererseits ist auch die Wahrscheinlichkeit, dass Cyl diesen Brief liest, verschwindend gering.
Celcovia war nur ein kurzer Zwischenstopp auf deiner Reise, die dich zweifellos in entlegene und seltsame Ecken des Universums führen wird. Ich hoffe, du hast am Ende doch bekommen, was du wolltest. Ich wünsche dir weitere Abenteuer und Wunder. Das erscheint mir passend, schließlich bist du ein wundersames Wesen.
Xier beißt sich auf die Lippe. Dann zuckt xier mit den Schultern und kritzelt die letzten Worte schnell nieder.
Falls du das wider Erwarten doch liest, dann wünsche mir bitte eine Veränderung. Ich liebe Celcovia Station, sie hat mir Zuflucht geboten, als ich am Ende war, und das werde ich ihr nie vergessen. Aber langsam werde ich unruhig. Ich glaube, ich sitze schon zu lange hier fest.
Bitte wünsche mir einen Anstoß, um mein angenehmes ruhiges Nest zu verlassen und wieder in die Welt hinauszugehen. Wünsche mir die Kraft, vor andere Leute zu treten und mich nicht zu ducken. Ich glaube, ich bin bereit.
Danke.
Nach einer Weile, in der Klie einfach nur dasitzt und auf die leisen Geräusche der Unterstadt hört, steckt xier das Holopad ein und klettert auf die Straße zurück. Xieser Körper fühlt sich bereits leichter an als beim Anstieg.