„Und Lishi lässt fragen, ob du morgen bei ihr vorbeikommen könntest. Ihre Tochter hat beim Spielen in den Seitenhöhlen ein Artefakt aus Holz gefunden. Sie wollen wissen, ob es wertvoll ist.“
„Schon das Material macht es interessant“, sagt Yuan, „aber den Verkaufswert bestimmt auch seine Form, die ursprüngliche Funktion und der Zustand, in dem es jetzt ist. Das weißt du selbst.“
Sein Vater ignoriert den Seitenhieb und schiebt seinen Stuhl näher an die knisternden Flammen. Zwei Stunden pro Abend erlaubt er sich den Luxus eines Feuers, um die anhaltenden Schmerzen seiner alten Knieverletzung zu lindern. Yuan schwitzt, obwohl er am weitesten von der Feuerstelle entfernt sitzt, aber sein Vater ist seit Jahren daran gewöhnt.
Jetzt seufzt er zufrieden. „Ich war lange nicht unterwegs. Was früher galt, muss nicht zwingend noch immer gelten. Du erzählst nie von deinen Reisen. Ich weiß nicht einmal, wie es in letzter Zeit um den Goldpreis steht.“
„Das liegt daran, dass du nie aus dem Haus gehst, Vater“, sagt Yuan. „Vessit ist kein Dorf im hintersten Winkel der Berge, sondern ein Handelsposten. Auf dem Markt könntest du alles Mögliche herausfinden, ohne mich fragen zu müssen.“
Sein Vater brummt etwas in sich hinein, das Zustimmung oder Missbilligung sein könnte.
Yuan überlegt. „Wenn ich bei Nachbarin Lishi vorbeischauen soll, dann früh am Morgen. Ich wollte noch vor Mittag aufbrechen.“
Sein Vater sieht auf. Seine türkisfarbenen Augen sind so scharf und kalt wie früher, als er noch die unterirdischen Gänge durchstreift hat, die sich mehrere Tagesmärsche lang unter den Bergen erstrecken, und die Straßen im nächtlichen Hügelland. Einst hat Yuan ihn bewundert, hat von ihm gelernt, so viel er konnte. Jetzt hängt jedes Wort, das sein Vater spricht, zwischen ihnen in der Luft wie Schwefelgestank. „Du willst nicht mit uns zu Mittag essen? Nun gut, früher habe auch ich jede zweite Mahlzeit im Stehen oder Gehen verdrückt, konnte keinen Atemzug lang stillsitzen. Du tust, was du tun musst.“
Yuan bezwingt das Verlangen, die Augen zu verdrehen. Ich tue, was ich liebe, denkt er.
Am nächsten Morgen erwacht er früh, noch bevor der Schein der ersten am Gürtel getragenen Leuchtschwämme die Straßen Vessits erhellt. Er packt sein Bündel, was nicht lange dauert, da er in den wenigen Tagen seines Aufenthalts kaum ausgepackt hat. Er füllt seinen Trinkbeutel aus dem Krug auf dem Tisch und tappt auf Zehenspitzen zur Tür.
Gerade als er sie öffnet, erklingt das Tock tock eines Gehstocks. Yuan dreht sich zu seinem Vater um, der in seiner Schlafrobe ins Hauptzimmer kommt. „Warum bleibst du nicht noch einige Tage?“, bittet er leise. „Die anderen haben dich kaum gesehen.“
Du meinst, du hast mich kaum gesehen. Allein bei dem Gedanken daran, länger zu bleiben, sträuben Yuan sich alle Haare. Seine Füße kribbeln, ein sicheres Zeichen, dass er bereits gestern wieder auf der Straße hätte sein sollen. „Die Handelskarawanen aus dem Süden warten nicht.“
„Ein, zwei Tage …“
„Ich kann nicht. Pass gut auf dich auf.“ Mit großer Mühe wendet er sich von der brüchigen Hoffnung im Gesicht seines Vaters ab und schlüpft zur Tür hinaus.
„Yuan!“
Als sein Vater die Tür erreicht und ihm nachruft, hat er bereits die halbe Straße hinter sich gebracht. Silvedhri Gen wird Yuan weder einholen noch aufhalten können. Sein Knie und die Jahre der Sesshaftigkeit haben ihn zu einem anderen gemacht. Der Mann, zu dem Yuan einst aufgesehen, den er für so erfahren und weise gehalten hat, ist vor Jahren gestorben.
Sein Vater ist ein Fremder, den Yuan nicht mehr erträgt.
Verzeiht mir, ehrwürdige Ahnen. Ich bin ebenso Silvedhri wie die, die vor mir kamen. Ich muss reisen. Nach diesem Stoßgebet schreitet er zügiger aus, saugt die kalte Höhlenluft tief in die Lungen. Er kann es kaum erwarten, den nächsten Hang zu erklimmen, Finger und Zehen in Felsspalten zu graben, um nicht den Halt zu verlieren. Neue Landschaften, neue Artefakte zu suchen. Mit Fremden aus weiter Ferne zu sprechen, Neuigkeiten zu hören, zu feilschen.
Oh, er ist unterwegs.