Das Flüstern der Elektrogeräte
Gute Seele hebt Stimmung in einem Mangacafé, aber nicht die eigene
Inhaltswarnungen1
An diesem Abend musste Maekawa nicht weit durch das Mangacafé laufen, um seinen ersten Unglücklichen zu finden. Bereits zwei Kabinen neben seiner tönte eine laute Männerstimme durch die Wand. „Scheiße, das sagst du mir jetzt? Ich war schon im Konbini, hab zwei Tüten Essen mitgenommen. Alles, was du wolltest! Und die Nudelsuppe mit Rind kostet 500 Yen mehr als die normale! Soll ich den Kram allein essen, hä?“
Stille.
Maekawa lehnte sich an die Wand und warf Sen, der um seine Beine strich, einen vielsagenden Blick zu.
„Nein, du musst nichts essen! Ich meine ja nur, ich dachte, du würdest den Abend bei mir verbringen … Den Film hab ich auch runtergeladen. Oder wir können zocken. Wir machen, was du willst, Baby.“
Wieder Stille. Der Sekundenzeiger an der Wanduhr ruckte zehnmal weiter, bevor der Bewohner der Kabine wieder sprach.
„Aber Baby, ich wusste nicht …“
„Soll ich eingreifen?“, fragte Sen. Als Maekawa hinabsah, schienen die gelben Augen des Katers über seinen Füßen zu schweben. Das schwarze Fell verschmolz mit der Dunkelheit des nächtlichen Mangacafés.
Er nickte und auch Sens Augen verschwanden.
Die Frauenstimme, die hinter der Wand aus einem Handy zu erahnen war, änderte ihren Ton. Nach drei Sätzen seufzte der Bewohner auf. „Oh, wenn das so ist … Natürlich musst du hinfahren! Deine Mutter braucht jetzt alle Unterstützung … Nein, mach dir keine Sorgen um mich, wirklich.“
Eine Pause.
„Ich hoffe, es geht ihr bald besser. Sag Bescheid, wenn du wieder in der Stadt bist, ja? Bis dann, Baby.“
Als Maekawa weiterschlenderte, gesellte Sen sich wieder zu ihm. „Seine Freundin hat ihn für einen anderen verlassen. Jetzt glaubt er immerhin, sie müsste zu ihrer Familie aufs Land fahren, um ihre kranke Mutter zu pflegen.“
„Menschen“, murmelte Maekawa kopfschüttelnd. Sen peitschte zustimmend mit dem Schwanz.
Hinter der nächsten Ecke wehte ein hohes Animestimmchen durch eine angelehnte Tür. Maekawa lugte durch den Spalt in den Raum. Vor dem 24-Zoll-Computerbildschirm, mit dem jede Kabine des Cafés ausgestattet war, saß ein Jugendlicher mit schulterlanger, zerzauster Haarmähne und starrte auf die silberhaarige Vtuberin mit großen Brüsten, die kichernd und singend die Zuseher ihres Livestreams unterhielt.
„Und danke für deine großzügige Spende, Herr Niku1q8q! Da werd ich ja ganz rot! Ähem, natürlich singe ich dir auch das Liedchen, das du dir gewünscht hast …“
Während sie weiterschnatterte, ließ der Junge den Kopf auf den Tisch sinken. „Ach, Gini … wenn ich noch Geld hätte, würde ich dir viel mehr spenden. Letzte Woche hattest du nur Augen für mich …“ Er schluchzte laut auf. „Weißt du nicht, dass ich hungere, nur um dein süßes Lächeln zu sehen?“
Maekawa seufzte. Sen verschwand in Richtung des Computers, ohne erst auf die Aufforderung zu warten.
„Hey, Leute, erinnert ihr euch noch an Herrn Melonpan3, der letzte Woche so freundlich zu mir war?“, sagte Gini plötzlich und legte nachdenklich einen Finger ans Kinn. „Ich hab ihn seit ein paar Tagen nicht im Chat gesehen, ihr vielleicht? Herr Melonpan3, egal, wo du bist, wir denken an dich, ja? Komm schnell zu uns zurück!“
Der Junge hatte den Kopf gehoben und schniefte. „Du denkst an mich? Ach, Gini … Du bist doch die Beste …“ Und er begann fieberhaft, Nachrichten in den Livechat zu tippen.
Sen erschien auf Maekawas Schulter und grub die Krallen in seinen Pulli. „Was ist?“, murrte er, als Maekawa nicht gleich die Hand hob, um ihn zu streicheln.
„Ach, nichts“, murmelte Maekawa und unterbrach sich, um einen Milchkaffee aus dem Getränkeautomaten an der Ecke zu ziehen. Nach dem ersten Schluck fuhr er fort: „Mangacafés sind voll mit Leuten, die am Rand der Gesellschaft leben, die aus irgendwelchen Gründen nicht anerkannt werden. Aber auch sie scheinen alle irgendjemanden an ihrer Seite zu haben. Sie sind nicht allein.“
„Du hast mich“, zischte Sen in sein Ohr.
„Ich weiß“, sagte Maekawa schnell. Ein Kater, der eigentlich kein Kater war, konnte seine Gefühle wohl nicht begreifen.
Als ein Mann im mittleren Alter sich eine Dose Sake holte und dabei gegen den Getränkeautomaten trat, weil er schon wieder ein Vorstellungsgespräch vermasselt hatte, riet Sen ihm durch sein Handy, doch einmal im Konbini um die Ecke vorzusprechen, der gerade Hilfskräfte suchte.
So verstrich die Nacht, bis Maekawas knurrender Magen ihn zur den Automaten für warme Speisen zog. Mit einem dampfenden Becher Instant-Nudelsuppe setzte er sich an einen der Plastiktische und schlürfte.
Gerade als der Becher leer war, landete mit einem Pock zwei Flaschen Yakult vor ihm. Maekawa sah auf und erkannte den Jugendlichen, der sich eben mit seiner angebeteten Vtuberin versöhnt hatte. Die Haare fielen ihm über die inzwischen trockenen, aber unsicheren Augen. „I-Ich sehe Sie schon seit ein paar Wochen hier“, sagte er leise. „Ich weiß nicht, wie Sie es machen, aber wenn Sie da sind, läuft alles glatter. Die Leute sind besser drauf. Ich wollte nur sagen … danke. Dass Sie da sind.“
Er stieß seine Flasche gegen Maekawas, ein wortloses Kampai, und schlurfte davon.
Maekawa sah ihm nach. Erst als Sen schnurrte: „Gut für dich, alter Freund“, merkte er, dass er lächelte.
mildes Fluchen