Inhaltswarnungen1
Aus unserer erhobenen Handfläche steigt ein Tropfen Wasser in die Luft. Auf Höhe unserer Augen teilt er sich in zwei, dann drei Tropfen. Blubbernd wachsen sie auf faustgroße Kugeln an und schießen in die Luft.
Jenseits der Manege seufzt das Publikum auf.
Auf der Stelle wirbelnd fangen wir zwei der Wasserbälle wieder auf. Der dritte verharrt eine Sekunde über uns. Dann spannt er einen Bogen und verwebt beide zu einer Linie aus Wasser.
Wir drehen uns im Takt der leisen Trommel, werfen die Tropfen versprühende Linie zwischen den Händen hin und her, über unseren Kopf, zwischen unseren springenden Füßen hindurch und hinter unserem Rücken vorbei.
Bald bedeckt feiner Niesel unser Gesicht, netzt unsere dunkle Haut und sickert in unsere Kehle. Wir schlucken ihn, springen noch höher und schicken das Wasser in Fontänen und hauchdünnen Netzen über das Publikum hinweg. Unsere Augen sind schwach, aber unsere anderen Sinne ertasten ihre Seelen im Dunkeln. Niemand wird getroffen.
Ein feuchtes Husten steigt in unserem Hals auf. Wir rufen das Wasser zurück und unterdrücken den Laut, aber ein Tropfen läuft unser Kinn hinab.
Warme Flüssigkeit füllt unseren Mund. Woher? Dieses Wasser haben wir nicht gerufen. Wir wollen es nicht.
Aber es gehorcht uns nicht. Das schöne Kunststück zerplatzt um uns herum zu einer Pfütze. Wir fallen in der Mitte der Manege auf die Knie, graben die Fingernägel in den Matsch. Wasser drückt unsere Zunge nieder, blubbert in unserer Kehle, würgt uns mit nasser Hand. Vergeblich ringen wir nach Luft. Unsere Sicht verschwimmt …
„Halt!“, befiehlt eine vertraute Stimme aus weiter Ferne. Aber schon umfängt uns das Nichts. Wir gehen unter.
…
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Als wir erwachen, liegen wir in unserer Kabine. Neben unserem Bett sitzt Nissa und als sie sich über uns lehnt, lodern die Goldfunken in ihren dunklen Augen heiß auf. „Warum hast du mir nicht gesagt, dass du die Kontrolle verlierst?“
„Wir waren stolz“, murmeln wir und müssen husten. Diesmal kommt kein Wasser heraus. „Und wir wollten dir keine Sorgen bereiten, aber ja, wir werden schwächer.“
„Ich kann dir nicht immer das Bewusstsein nehmen, wenn du eine Vorstellung vermasselst. Es muss doch eine Lösung geben!“
Sie wartet, aber wir schweigen. Die Wahrheit ist: Wir sind alt und ein in dieser Galaxie einzigartiges Wesen. Die Wahrheit ist: Wir verstehen uns selbst nicht gut genug, um uns zu heilen. Die Wahrheit ist: Möglicherweise haben wir nicht mehr viel Zeit. Aber die wenige, die wir haben, wollen wir mit ihr verbringen.
Anstatt die Wahrheit auszusprechen, sagen wir: „Die Galaxie ist unermesslich. Vielleicht gibt es eine Lösung, irgendwo da draußen.“ Aber Nissa weiß, dass die Hoffnung in unseren Worten nur vorgetäuscht ist.
Die Fortsetzung dieser Geschichte findet ihr hier.
Ertrinken, Tod